Infrastrukturpolitik auf Bedarfe der Verkehrswende konsequent ausrichten

Frankfurt/Main/Köln, 09. Dezember 2021. Der Netzbeirat der DB Netz AG hat im Dezember 2021 seine Stellungnahme zum Geschäftsplan 2020 der DB Netz AG übergeben. Mit der Vorlage dieses dritten Geschäftsplans wurde aus Sicht des Netzbeirats ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Der gesetzlich festgelegte Auftrag des Netzbeirats, eine "optimale und effiziente Nutzung und Bereitstellung und Entwicklung der Infrastruktur" proaktiv aus Marktsicht zu begleiten, bleibt die oberste Leitlinie seiner Agenda.

Immer deutlicher wird die Notwendigkeit einer Verkehrswende in Richtung Schiene. Die hiermit einhergehenden Anforderungen an die Infrastruktur werden jeden Tag klarer. Bereits heute ist erkennbar, dass diese bereits 2030 weit über das bislang prognostizierte Maß (~100 Mrd. Personenkilometer, ~154 Mrd. Tonnenkilometer) hinausgehen werden. Wenn eine substanzielle Verkehrswende wirklich gelingen soll, auch im Sinne einer deutlichen Emissionsreduzierung durch mehr Verkehr auf der Schiene, müssen nach Meinung des Netzbeirats die folgenden Punkte zügig umgesetzt werden:

  • rascher Ausbau und Elektrifizierung weiterer Strecken und Reaktivierung stillgelegter Strecken mit Nachfragepotenzial
     
  • Vorantreiben des 740-Meter-Netzes für den Güterverkehr
     
  • Schaffung von deutlich mehr (ggf. auch intermodalen) Zugangsstellen für Personen und Güter
     
  • Ausbau der Abstell- und Serviceeinrichtungen
     
  • stärkere Ausrichtung der Netzkonzeption 2040 auf die Konsequenzen aus der Klimakrise
     
  • beschleunigtes Einführen von ETCS
     
  • Nutzen aller baulichen und vor allem betrieblichen Möglichkeiten, um Verbesserungen zu erzielen. Dazu gehören beispielsweise temporäre Geschwindigkeitsharmonisierungen auf Engpassstrecken sowie die 24/7-Betriebs- und Zugangsoptionen
     
  • Sicherstellung des Kapazitätsnutzungskonzepts für die Jahre ab 2025
     
  • weiteres Vorantreiben des Aufbaus des Kennwertesystems für den Netzbeirat

Fokusthemen weiterentwickeln
Mit Hochdruck sollten Fokusthemen wie die Elektrifizierung weiterer Strecken, die Reaktivierung einst stillgelegter Strecken mit entsprechenden Nachfragepotenzialen sowie die Beseitigung von Engpässen im Netz vorangetrieben werden. Vermiedene Traktionswechsel senken den Betriebsaufwand und verkürzen die Reisezeiten der Fahrgäste. Die elektrische Traktion hilft, CO2-Emissionen des Zugverkehrs weiter zu reduzieren. Streckenreaktivierungen lassen das Streckennetz der Schiene wieder engmaschiger werden und reduzieren die Notwendigkeit von "Letzte Meile"-Verkehren für Personen und Güter. Die Engpassbeseitigung zählt zu den dringendsten Aufgaben, denn an diesen Stellen besteht bereits heute kein Potenzial für Verkehrswachstum mehr. Die Leistungsfähigkeit, insbesondere der aktuell schon kritischen Knoten, muss in praktisch allen größeren Städten erhöht werden. Damit muss auch der Ausbau der Abstell- und Serviceeinrichtungen einhergehen.

740m-Netz für den Güterverkehr vorantreiben
Bisher sollten "nach 2026" alle europäischen Korridore mit 740-Meter-Zügen durchgehend befahrbar sein. Im neu vorgelegten Geschäftsplan wird nun das Jahr 2031 anvisiert. Dies ist deutlich zu spät. Bis dahin bestehen nicht hinnehmbare signifikante Produktivitäts- und wirtschaftliche Nachteile für den Güterverkehr unnötig weiter. Ein Realisierungszeitraum von dann mehr als 13 Jahren wäre deutlich zu lang und ist gerade im internationalen Vergleich ein nicht zu akzeptierendes Handicap. Hier müssen Bund und DB Netz in einem gemeinsamen Kraftakt dafür sorgen, dass der ursprünglich avisierte Fertigstellungstermin Mitte der 2020er-Jahre doch noch gehalten werden kann.

Deutlich mehr Zugangsstellen für Personen und Güter schaffen
Zum Gelingen der Verkehrswende und für die Reduzierung der verkehrsbedingten Klimafolgen sind grundlegend neue Wege einzuschlagen. Diese müssen bereits in den kommenden fünf bis zehn Jahren zu klaren Ergebnissen führen. Entsprechend "schnell" müsste eine große Anzahl von Gütern und Personen einen Zugang zur Schiene finden können. Daher ist in Deutschland der Aufbau eines deutlich engmaschigeren, flächendeckenden Netzes von Personenbahnhöfen inkl. Bahn-Bus-Knoten sowie von Zugangsstellen für den Güterverkehr (Ladegleise, Laderampen, Gleisanschlüsse, Railports, Containerterminals) notwendig. Sollte dies mit der DB Netz AG allein nicht machbar sein, muss für einen zeitnahen und signifikanten Zuwachs an Zugangsstellen eine Hinzuziehung kommunaler und anderer Akteure erfolgen können, damit dieses Ziel zeitnah realisiert werden kann.

Netzkonzeption 2040 stärker auf die Konsequenzen aus der Verkehrswende ausrichten
Mit der Netzkonzeption 2030 gelang ein erster Aufschlag, um für wachsende Verkehrsmärkte neue Angebote zu schaffen. Nicht zuletzt mit Blick auf die Kapazitäts- und Qualitätsprobleme stellt der Netzbeirat fest, dass auch 2030 hochwertige Trassen nicht ausreichend vorhanden sein werden. Eine Netzkonzeption 2040 sollte hierauf reagieren und u.a. die dort genannten Wachstumsziele nach oben korrigieren bzw. neue Ziele wie "mehr Zugangsstellen" aufnehmen. Ohne ein bereits zum Bedarfszeitpunkt aufnahmefähiges Netz wird es keine Verkehrswende geben, entsprechende dispositive und investive Vorbereitungen müssen bis dahin abgeschlossen sein.

ETCS beschleunigt einführen
Die Implementierungsstrategie für das European Trail Control System (ETCS) kann insgesamt nicht überzeugen. Aus dem Geschäftsplan 2020 ergibt sich, dass über Jahrzehnte hinweg ein paralleler Betrieb von ETCS und anderen Systemen absehbar ist. Für Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen sind damit erhebliche Risiken verbunden. Doppelte Leit- und Sicherungstechnikstrukturen führen zu überhöhten Kosten und verhindern eine eigenwirtschaftlich angelegte Verkehrswende. Weiterhin ist nicht geklärt, wie es sich tatsächlich mit den postulierten Kapazitätsgewinnen verhält. Der Netzbeirat wiederholt an dieser Stelle seine Bitte, die gewünschte Transparenz - insbesondere auch zum konkreten Roll-out-Plan - herzustellen. Außerdem appelliert der Netzbeirat an die DB Netz AG, beim Bund zu verdeutlichen, dass die Einführung von ETCS nur gelingen kann, wenn zeitgleich die Fahrzeugausstattung erfolgt. Deren Finanzierung durch den Bund ist noch offen.

Kapazitätsnutzungskonzept für die Jahre ab 2025 sicherstellen
Zugangsberechtigte müssen auf transparente Weise erkennen können, wie eine verbesserte Infrastruktur optimal genutzt werden kann und welche Folgeinvestitionen (z.B. in Fahrzeuge) bei den Zugangsberechtigten und ihren Zulieferern notwendig werden. Dieses Konzept muss so angelegt sein, dass die Priorisierung einzelner Maßnahmen durch die Zugangsberechtigten qualifiziert kommentiert werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass zwischen Infrastrukturbetreiber und Zugangsberechtigten leistungsfähige Schnittstellen fortbestehen. U.a. leiten sich aus dem Kapazitätsnutzungskonzept die Kapazitätsrahmenverträge, die Fahrlagenberatung und die Netzfahrplanerstellung ab. Dabei ist im Interesse der Aufrechterhaltung der Kundenzufriedenheit auch eine Koordination zwischen Bauen und Betrieb unter Einbeziehung der Zugangsberechtigten zu beachten. Die dafür notwendigen Investitionen und deren Finanzierung sollten daher im Geschäftsplan neben den anderen Digitalisierungsthemen dringend Berücksichtigung finden.

Aufbau des Kennwertesystems für den Netzbeirat weiter vorantreiben
Inzwischen wurde die Zusammensetzung des Kennwertesystems nochmals im Hinblick auf aktuelle und neue Schwerpunktthemen überarbeitet. Dessen Ziel ist die Schaffung eines abgestimmten, kongruenten und aktuellen Sets von relevanten Daten zur Beurteilung der Entwicklung der deutschen Schieneninfrastruktur aus Marktsicht. Inzwischen liegen für 44 Bestandsmerkmale Zahlenangaben vor, des Weiteren drei zum Altersaufbau von Anlagen. Zu Themen der Netznutzung können inzwischen sechs Größen genannt werden. An dieser Stelle fordert der Netzbeirat weitere Fortschritte auf dem Weg zu einem umfassenden Kennwertesystem.

Infrastrukturpolitik auf Bedarfe der Verkehrswende konsequent ausrichten